Ein wunderbarer Abend in der Krümelküche


‚Crowdfunding  oder die etwas andere Art, sich Kapital zu verschaffen‘

Wenn sich eine (ober)österreichische Schuhfabrikantin Geld für die Entwicklung eines völlig neuartigen Schuhs über ein Crowdfunding-Projekt beschaffen will, ein Paar mit einer prima Gründungsidee und eine Musikerin für ihre erste CD-Produktion nach Finanzierungsmöglichkeiten suchen, dann können sie etwas erzählen.

Allen gemeinsam ist die Erfahrung, dass ihnen nicht – wie es die Banken-Hochglanzwerbung gerne suggeriert –  der rote Teppich zum Gründungs- und Innovationskapitalmarkt  ausgerollt wird. Technische Innovationen haben es da (auf dem Papier) etwas leichter, Gastronomie und Kunst z.B. stehen eher nicht auf der Wunschliste der Kreditgeber. Da gilt es – je nach Branche- nach Alternativen zu suchen. Immer mehr Unternehmensgründungen, aber auch Unternehmenserweiterungen werden daher über Crowdfunding finanziert.  2015 belief sich das Gesamtvolumen an Crowdfundings auf ca. 250 Mio Euro- allein in Deutschland. „Zeit also, sich mit dem Marketingkonzept und den Möglichkeiten, die hinter dieser Idee stehen, etwas näher zu beschäftigen,“ so Barbara Baratie in ihrer Begrüßung in der Krümelküche in Duisburg. Vorher begrüßte sie aber noch unsere vier neuen Mitgliedsfrauen:

Die Organisatorinnen hatten erstmalig zu einem forum-Treffen nach Duisburg eingeladen:  In die „Krümelküche“– der Ort war mit Bedacht und auf einen Tipp von der Duisburger Wirtschaftsförderin Susannes Kirches hin gewählt, denn Sarah und Dennis Strillinger, die das vegane Café–Restaurant jetzt seit zwei Jahren im  Duisburger Stadtteil Hochfeld  betreiben, haben ihren Traum vom eigenen Unternehmen auch über  ein Crowdfunding-Projekt verwirklichen können.

Jetzt ist Duisburg-Hochfeld  nicht wirklich eine der ersten Adressen in Duisburg – ganz nahe dem Rotlichtviertel und dem Gelände der ehemaligen Kupferhütte. Und: Die Krümelküche, man muss eher zweimal hinschauen, bevor man das Café entdeckt. Wer durch die Tür kommt, überlegt erst einmal kurz, ob man sich nicht im Eingang geirrt hat. Das Zögern hält nicht lange an, denn irgendetwas – undefinierbar Atmosphärisches – sorgt dafür, dass man bleiben möchte.

Die Einrichtung: liebevoll zusammengetragen, Cocktailsesselchen, runde Tischchen, Fernsehtischchen aus den 60igern, Sammeltassen- und Nippeskultur, Kristallglas (übrigens wieder im Trend), Kaffeekannen, alte Fotos, Spitzendeckchen, dazwischen einige Bügel mit einem fair produzierten T-Shirt-Label, Ruhrpott-Devotionalien. In zwei Nebenräumen präsentieren sich zwei junge Frauen mit eigenem (chicen) Mode-Label  ‚emma&maille‘ und außergewöhnlichen Second Hand-Artikeln. Das Auge scannt lange, um in allen Räumen zumindest den Großteil der Deko in den unterschiedlichsten Stilrichtungen wahrzunehmen – und es fühlt sich gut an. Dennis Strillinger fügt sich als eloquenter und unaufgeregter  Gastgeber wie selbstverständlich in dieses Ambiente  ein.

Wer sich an diesem Abend auf den Weg gemacht hatte, wurde dafür gleich mehrfach belohnt. Nicht nur, dass der Veranstaltungsort an sich schon speziell war, die Gastfreundschaft der Krümelküchen-Crew  einfach überwältigend, nein, auch alle am Thema Beteiligten sorgten dafür, dass es lehrreich, spannend und unterhaltsam war. Dass Anke Johannsen es zudem tatsächlich geschafft hat, in diese drangvolle Enge ihr Klavier einzupassen und so zwei ihrer neuen Songs vorstellen konnte, zählte zu den kleinen Wundern an diesem Abend.

Dennis Strillinger, in seinem ersten Leben Internet-Game-Entwickler und seine Frau Sarah, Marketingfachfrau, waren mit Mitte 30 an einem Punkt angekommen, an dem sie noch einmal etwas völlig Neues anfangen wollten. Ihre Pläne konzentrierten sich in einem länger andauernden Denkprozess immer stärker auf die Eröffnung eines veganen Cafés und Restaurants. Das einzige, was die beiden hierzu bis dahin dafür qualifizierte, war die Tatsache, dass sie beide schon länger vegan lebten, Sarah ambitionierte Bäckerin und Köchin ist und beide den festen Willen hatten, ihr Leben grundlegend zu verändern. Zu der elementar wichtigen Standortfrage (veganes Café in Duisburg? Geht das überhaupt?) kamen Überlegungen zu Organisation, Fachkompetenz und natürlich zur Finanzierung. Eigenkapital stand wenig zur Verfügung, Banken winkten beim Wunsch nach einer Gründungsfinanzierung in der Gastronomie reflexartig ab.

Bis zur tatsächlichen Eröffnung des Cafés vergingen dann noch viele Monate der Planung und Vorbereitung, es gab Zwischenetappen, in denen Dennis und Sarah  „Caféhaus-betreiben“  zuhause in ihrer Wohnung nach Guerrilla-Art regelrecht übten. Öffnungszeiten wurden kurzfristig angekündigt. An Sonntagen wurde die Wohnungstür ausgehängt, Tische bis in den Flur platziert und dann wurde Kaffee und veganer Kuchen serviert. Mit einem Riesenerfolg. Parallel lief die Lokal- und Kapitalsuche weiter. Dennis kommt aus der Internetszene, Sarah  aus dem Marketing, ein  Riesenvorteil, wenn man über eine Internetplattform ein Crowdfundingprojekt erfolgreich auflegen will. Nicht nur die richtige Wahl der Crowdfundingplattform ist existenziell wichtig, denn je nach Wahl geht das gesammelte Geld wieder komplett an die Geberinnen und Geber zurück, wenn die Fundingsumme nicht erreicht wird oder aber man bekommt zumindest das, was „reingekommen ist“ gegen eine höhere Gebühr an die Plattformbetreiber ausbezahlt. „Wir sind nicht ganz an die angepeilte Summe von 20.000 Euro gekommen, hatten aber das Glück, bei ‚INDIEGOGO‘ gelandet zu sein und bekamen am Ende fantastische 16.000 Euro zusammen“,  so Dennis Strillinger, „dabei haben wir für uns oft gedacht, dass es überhaupt keine Rolle spielt, wieviel jemand gespendet hat. Jede Spende hat für uns gleichviel gezählt, jede hatte für uns eine Bedeutung. 10, 20 Euro waren oft auch eine Mut machende Spende, wir haben tatsächlich einmal eine 1000 Euro-Spende bekommen, was uns fast schwindelig gemacht hat. Im Nachhinein ist die Spenderin, eine Fotografin, eine gute Freundin von uns geworden.“

Dennis Sprillinger wies auf einen ganz wichtigen Punkt hin: Man muss ständig für sein Projekt im Internet arbeiten. Es reicht eben nicht, ein kurzes Projekt- und Imagevideo einzustellen und für gespendete Summen schöne „Perks“, also je nach Spenden oder Investmentsumme eine Liste von Rewards und Dankeschöns festzulegen, sondern es ist unerlässlich, während der gesamten Laufzeit die Community mit News, Fotos und Stories bei der Stange zu halten- umso natürlich auch potenzielle Neuspenderinnen und Spender zu gewinnen.

Julia Stöhr, die für ihr Unternehmen aergo ihre Produktpalette für den österreichischen Markt mittels Crowdfunding  um eine weitere „Schuhrevolution“ ergänzen wollte, hat genau das aus dem Auge verloren, wie sie berichtete und viel Lehrgeld bezahlt. „Es reicht eben nicht, alles einmal ins Netz zu stellen und zu hoffen, dass man gefunden und für attraktiv befunden wird. Die Zielgruppe, die man ansprechen und für seine Idee gewinnen will,  muss klar definiert sein. Dann muss man ständig an den Spenderinnen und Spendern dranbleiben. So ein Projekt ist nie ein Selbstläufer. Ein richtiger Projektfahrplan muss im Vorfeld  erstellt werden. Das war eine unserer Fehleinschätzungen.“

Julia Stöhr bezeichnet sich selbst als eine Unternehmerin durch und durch. Dem kann man getrost zustimmen, denn wenn sie über ihr Unternehmen redet, ihre Schuhrevolution erklärt und zeigt, ist die umtriebige Betriebswirtin in ihrem Element. „Als ich mich mit meiner Selbständigkeit beschäftigt habe, habe ich natürlich überlegt, welche Branchen werden wachsen und ich war schnell im Wirtschaftsfeld „Gesundheit und Vorsorge“. Wir werden älter, leben und arbeiten länger, wollen dabei gesund bleiben und geben dafür immer mehr Geld aus. Neuartige, gesunde Schuhe herzustellen und sie  erfolgreich in den Markt zu bringen, ist angesichts der weltweit bekannten Traditionsmarken schon eine Herausforderung, die nur mit entsprechender Beratungs- und Kooperationskompetenz funktioniert. Aber wir sind wirklich innovativ, wir stellen ein Fußbett her, mit dem Frauen wirklich ‚vom Gehen zum Schweben‘ kommen. Unsere Technologie kommt aus dem Flugzeugbau“, doziert sie und nimmt dabei ein Modell komplett auseinander  und setzt es wieder mit ein paar Griffen zusammen  (jetzt spätestens war der Zeitpunkt gekommen, wo die ersten Stöckelschuhe abgestreift wurden und die durchgereichten Bequemmodelle mit einem Seufzer des Wohlgefühls ausprobiert wurden).

Zurück zur Krümelküche, denn  zwischen den Vorträgen gab es als amuse gueule eine kleine Auswahl an veganen Vorspeisen, traumhaft lecker und erstaunlich fein komponiert. Das sich anschliessende Menue einschliesslich 2 Desserts (vegan und alle waren begeistert) konnte diese Klasse halten,  Das Café-Restaurant hat sich eine bemerkenswerte Professionalität in der Küche angeeignet. „Sarah ist hier der kreative Kopf, und das Feedback unserer Gäste zeigt, dass wir gut liegen,“ sagt Dennis Strillinger.

Und auch die Dritte im Bunde, die Pianistin Anke Johannsen hat ihre ganz besonderen Erfahrungen mit dem Geldeinsammeln gemacht: Crowdfunding war für die junge Musikerin der Weg, ihre erste CD auf den Markt zu bringen. „Für mich als freiberufliche  Musikerin mit unregelmäßigem Einkommen kam eine Geldbeschaffung über einen ganz normalen Bankkredit überhaupt nicht in Betracht. Im Prinzip ging es mir an vielen Ecken meiner Crowdfunding-Kampagne ähnlich wie Dennis Strillinger und Julia Stöhr. Ich musste ordentlich die Werbetrommeln rühren, meinen Freundes- und KollegInnenkreis motivieren, für mein Projekt zu werben, immer wieder auf die Aktion aufmerksam machen,  damit das Geld für meine CD-Produktion zusammenkam. Aber auch ich habe es mit Abstrichen geschafft. Ich bereite derzeit neue Stücke vor und plane meine 2. CD. Jetzt weiß ich, dass mich die Produktion an die 20.000 Euro kosten wird. Diese Summe zu generieren, wird hart, aber ich weiß jetzt, wie und was zu tun ist,“  sprach’s und setzte sich ans Klavier….

Nach so einer geballten Expertise zum Thema Crowdfunding blieb an diesem Abend nur noch eines: selber Geld einsammeln, um ein Projekt mit nach vorne zu bringen.  Und wir hatten auch schon eines ins Auge gefasst. Die magische Zahl ist 2020. Dann nämlich soll entweder die Eurofighter-Pilotin Nicola Baumanns oder die Meteorologin Insa Thiele-Eich als erste deutsche Astronautin in den Weltraum fliegen. Eine von den beiden wird, wenn das nötige Geld zusammen kommt, ein privat finanziertes Astronautik-Training absolvieren können, um dann die Chance zu bekommen, als erste deutsche Astronautin ins Weltall zur Raumstation ISS zu fliegen.

Bis zum heutigen Tag hat es noch keine deutsche Frau  geschafft, als Crewmitglied zur Internationalen Raumstation zu fliegen.

Seit 1988 gibt es gemischte Teams aus Männern und Frauen. Seit dem Jahr 1999 ist der Anteil von 15 Prozent an weiblichen Bewerbern und Astronautinnen aber gleich geblieben. Es war nur nie eine deutsche Frau dabei.

Dabei fehlt es nicht an weiblicher Kompetenz für so eine Mission. Zum internationalen Verein „Women in Aerospace“ (Frauen in der Raumfahrt) zählen allein 500 Frauen, knapp 30 Prozent stammen aus Deutschland.

Da muss frau doch mitmachen, oder?

Das Projekt „Die Astronautin“ ist eine Privatinitiative. Noch nie zuvor ist in Deutschland eine astronautische Weltraummission privat finanziert worden. Die Ideengeberin ist Claudia Kessler, sie betreibt eine Personalagentur speziell für Raumflug-Personal, sie weiß also, auf was sie sich da eingelassen hat. Sie rechnet damit, dass es unter dem Strich 30-40 Millionen Euro braucht, um eine Frau für’s All als Berufsastronautin fit zu machen.

Barbara Baratie ist mit dem Hut rund gegangen und am Ende waren es beeindruckende 223 Euro, die aus dem Stand gespendet wurden. Aus dem Budget des unternehmerinnen forum niederrhein wurde der Betrag aufgestockt, so dass wir als Dankeschön (aus den Perks) einmal 2 Tickets für eine Tour durch Raumfahrtzentrum in Bremen erwarten dürfen und die Chance, eine Club-Visitenkarte mit ins All geben zu können (die dann – garantiert im All signiert – auch wieder als „Trophäe“ zurückkommt).

Übrigens, wer mehr über die Kampagne von Julia Stöhr erfahren möchte, findet hier den Download ihrer Präsentation.

 

 

Bericht von Gabriele Coché-Schüer

Bilder Marjolein Hoppe www.maro-fotodesign.de