Wie lebt es sich eigentlich als bekennende Kölnerin in der niederrheinischen Weite? „Jetzt gut“, sagt Pia Esser und lacht, „aber wenn ich zurück denke, hat es doch lange gedauert, bis ich mit allen Sinnen hier angekommen bin.“

Geplant war in ihrem Leben ja auch erst einmal alles ganz anders. Dass sie einmal als Zahnärztin mit großer Leidenschaft gemeinsam mit ihrem Mann Clemens eine große, hoch spezialisierte Gemeinschaftspraxis in Goch gründen  und diese jetzt seit 10 Jahren erfolgreich gemeinsam führen würden, darüber hat der Teenager Pia am allerwenigsten nachgedacht. Gerade 16 Jahre, ihren frischen Realschulabschluss in der Tasche, hatte sie sich gerade auf den Weg gemacht, die Schulausbildung in ihrem Traumberuf Hebamme zu organisieren. Ausgebremst wurde sie allerdings sofort, denn für diesen Beruf gilt das Mindestalter von 18 Jahren. „Mach eine Ausbildung, dann hast Du schon etwas und dann kannst Du immer noch die Hebammenausbildung machen,“ so der elterliche Rat.  

Der Ausbildungsplatz bei einer Gynäkologin entpuppte sich als kompletter Fehlgriff und man trennte sich bereits in der Probezeit. Guter Rat war nun teuer- wie überbrückt man die Zeit sinnvoll, zumal mitten im Ausbildungsjahr? Klassisch mit der Hauswirtschaftsschule, um sich dann mit dem Fachabi an der Hebammenschule zu bewerben? „Ehrlich, ich war willig, aber nach den ersten Tagen war mir klar: Nie im Leben werde ich in dieser Schule bleiben! Dann aber kam der glückliche Zufall ins Spiel. Glückliche Zufälle waren etwas,  das ich in den kommenden Jahren immer wieder erlebt habe, die aber auch dazu führten, dass ich mich immer sehr schnell entscheiden musste. Mir wurde ein Ausbildungsplatz bei einem Zahnarzt angeboten – ich griff zu. In dieser Zeit lernte ich eine Menge – auch über temperamentvolle Chefs, durch die Gegend fliegende Instrumente und nicht immer ganz so nette Kolleginnen.“

Pia Hoffmann – so hieß sie damals noch –hielt durch, legte sich mächtig ins Zeug  und konnte wegen ihrer guten Leistungen bereits  nach 2 Jahren in die Prüfung gehen.

„Nach meiner Ausbildung habe ich 1994 in Bonn in einer Privatklinik angefangen. Dort wurde mir eine Stelle in der Zahnmedizinischen Abteilung angeboten, ich wollte aber unbedingt in die Chirurgie und es hat geklappt! Nach 2 Jahren hatte ich Küken mit 21 Jahren die OP-Leitung! Irgendwie dachte ich jedoch immer wieder, das kann noch nicht alles sein – die berufliche Karriereleiter schon mit 21 zu Ende? In dieser Zeit hatte ich schon mit dem Abendgymnasium angefangen.“

5 x pro Woche von 17.30 bis 22.00h. Dreieinhalb Jahre, Vollzeit in der Klinik. „Ich bin oft mit wehendem Mantel und hängender Zunge aus der Klinik und rein in die Klasse. Und dann in den letzten Stunden Latein. Heute frage ich mich, wie ich das damals geschafft habe.“

Für das bestandene Abitur hat sie sich mit einer 7-wöchigen Weltreise belohnt.  Sie startete in Sydney, machte Station in Neuseeland, auf den Cook Islands (wo sie ein Zahnarzt  mit auf seine Patiententour  über die kleinen Inseln  mitnahm), USA. Noch unterwegs, hat Pia Esser ihre Schwester angerufen: „Schreib mich ein für Zahnmedizin in Bonn, Köln und zur Not auch in Mainz.“

Kaum wieder zuhause, kam die Zusage für … Mainz! „Ich musste wieder alles superschnell entscheiden und organisieren, Mainz ist Rheinland-Pfalz, früherer Semesterstart, ich brauchte eine Wohnung, es war Stress pur.  Ich verkaufte mein Auto, ein älterer  Citroen R19 für 4.500 Mark und genauso viel kostete der Vorklinikkoffer, den jedes Erstsemester braucht. Nach dem Physikum wechselte ich nach Köln. Mit meiner Ausbildung konnte ich in der Uniklinik in der Notfallambulanz Nachtdienste übernehmen und verdiente mir so das Studium. Das war eine sehr intensive Zeit und es hört sich jetzt vielleicht heftig an, aber hier kamen für mich die zahnmedizinisch spannenden Fälle an: Unfälle oder auch ein Kopfschuss, Schlägereiverletzungen. Da konnte ich viel lernen.“

Aber wann trat jetzt eigentlich Clemens Esser auf den Plan?? Pia Esser schmunzelt: „Ich kannte ihn flüchtig aus dem Studium und ich fand ihn schon gut, aber der Mann war vergeben. Wir haben uns aus den Augen verloren.  Ich wurde also 2004 fertig und begann als Assistenzärztin  in  einer Bonner Privatklinik zu arbeiten, wohnte aber weiterhin in Köln und dann begegnet mir zufällig Clemens in meiner Straße. Er arbeitete mittlerweile als wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Uniklinik, hatte gerade einen Mietvertrag unterschrieben, …. und er war wieder solo! Kurz gesagt: Wir sind dann ziemlich schnell zusammengezogen und machten Zukunftspläne. In Bonn oder Köln wollten wir uns nicht niederlassen, hier gibt es einfach eine enorme Praxisdichte. Da hörte Clemens, der aus Goch kommt und hier seine Ausbildung zum Zahntechniker absolviert hat, dass Goch bei der zahnmedizinischen Versorgung  erheblichen Bedarf hätte.“

Wer glaubt, dass man einem gründungswilligen, aber mittellosen Zahnarztpaar in Goch den roten Teppich ausrollt, der irrt. „Dabei haben wir uns hochprofessionell auf unsere Bankgespräche vorbereitet, mit einem guten Businessplan, es gab eine vielversprechende  Standortanalyse – aber die hiesigen Banken haben uns kein Geld gegeben. Erst die vierte Bank hat darauf vertraut, dass wir es schaffen.“

Im Februar 2007 startete die Gemeinschaftspraxis am Theodor-Roghmans-Platz 4  mit 2 Mitarbeiterinnen und 2 Behandlungsstühlen. „Wir haben von Anfang einen Arbeitsschwerpunkt auf die Behandlung von kleinen und großen Angstpatienten gelegt. Ich hatte ja schon meine Hypnose- und Akupunkturausbildung beendet, Clemens hat nachgezogen. Mittlerweile ist er der Experte, ist NLP-Master und bildet selbst Zahnärzte und –ärztinnen aus. Wir behandeln Menschen mit Spritzenphobie genauso wie autistische Kinder und Jugendliche, behinderte Kinder, insgesamt ein interessantes Klientel. Da müssen wir genau herausfinden, was sie beruhigt, womit wir sie während der Behandlung beschäftigen oder ablenken können. Wir sind da mit der Zeit sehr erfinderisch geworden.“

Als wäre es nicht schon Herausforderung genug, einen Praxisbetrieb ans Laufen zu bekommen, standen kurz darauf die Zeichen auf Familienzuwachs, ihr Sohn Cornelis ist heute 9 Jahre und „ein ganz Pfiffiger“.

Pia Esser hat sich anfangs in Goch schwer getan: „Ich kannte das ja schon vom Abendgymnasium, da hast Du plötzlich keine Freundinnen und Freunde mehr, weil Du einfach nie mehr dabei bist. Hier hatte ich bis dahin kaum Gelegenheit, intensivere Kontakte zu schaffen. Bis ich (Achtung! Glücklicher Zufall) von jemandem mit ins unternehmerinnen forum niederrhein eingeladen wurde. Und ich muss sagen, das änderte alles. Hier habe ich Freundinnen für’s Leben gefunden. Wir haben uns zusammengefunden, alles selbständige, tolle und fitte Frauen. Das Alter passt, wir machen – auch mit den Kindern- ganz viel zusammen, können uns auch vertrauensvoll austauschen. Das hat mir so gefehlt. Hierüber bin ich auch zu den Klever Zonta-Frauen gekommen, ein internationaler Serviceclub, mit dessen Zielen ich mich gut identifizieren kann. Derzeit bin ich Präsidentin.“

Der Praxisbetrieb hat sich in den vergangenen 10 Jahren enorm weiter entwickelt. Demnächst werden es 7 Behandlungsstühle sein, an den in der mittlerweile auch baulich erweiterten Praxis behandelt werden kann. Die Neuanschaffung eines 3D-Röntgengerät ermöglicht eine noch bessere Vorbereitung z.B. für die Implantation. Das Team ist auf 17 Mitarbeiterinnen angewachsen, alles Spezialistinnen und unentbehrlich im Praxisalltag. Von der Verwaltungsfrau an der Rezeption, Prophylaxe-Assistentin, Zahntechnikerin bis hin zur Köchin und Auszubildenden. „Das habe ich mir nach meinen eigenen Erfahrungen geschworen: Du bringst Deinen Mitarbeiterinnen Wertschätzung entgegen und sie werden gefördert. Clemens und ich investieren nicht nur viel in unsere eigene Weiterbildung, sondern ermöglichen sie auch für unser Team. Und wir tun viel für ein gutes Klima. Dienstag ist z.B. Kochtag, da wird in der Praxis für alle gekocht, wir legen regelmäßig einen Teamcoaching-Tag ein, alles Dinge, von denen wir hoffen, dass wir alle in der Praxis auch zukünftig einen exzellenten Job machen können. Das Sahnehäubchen auf die das ganze Jahr verteilten Jubiläumsaktivitäten ist eine 4-tägige AIDA-Teamreise.“

Was tut man, wenn alles gut läuft? Richtig, man sucht sich eine neue Herausforderung. Seit 3 Jahren unterrichtet Pia Esser am Gocher Berufskolleg  die Abschlussklassen der zahnmedizinischen Fachangestellten. Sie lacht:  „Die wollte ich unbedingt haben.Ich will sie richtig fit machen für die Prüfung und sie motivieren, immer weiter zu machen. Da glaube ich, kann ich gut als Vorbild herhalten.“

Ist bei so viel Engagement eigentlich eine Trennung zwischen Privatem und Geschäftlichem noch möglich? Pia Esser sagt ja- und die sei unbedingt nötig. „Wir schaffen es ziemlich gut. Wenn wir aus der Praxis sind und abends mit unserem Sohn am Tisch sitzen, ist Geschäft erst einmal tabu. Natürlich bereden wir Dinge außerhalb der Praxis, aber auch z.B. im Urlaub können wir beide ganz gut die Arbeit ausblenden. Einen Tag in der Woche nehme ich mir frei – oder ich versuche es zumindest durchzuhalten.“

Ihren persönlichen Arbeitsschwerpunkt sieht sie mittlerweile in der Kinderzahnheilkunde und der ganzheitlichen Kieferorthopädie. Sie arbeitet hier eng mit Physiotherapeuten/innen und Osteopathen/innen und einer befreundeten Kieferorthopädin zusammen. Eine entsprechende Weiterbildung hat sie –natürlich neben dem Alltagsgeschäft- abgeschlossen.

Hätte man sie vor ein paar Jahren gefragt, ob sie in Goch bleiben wolle, hätte sie gezögert. Heute weiß sie, dass sie angekommen ist und sich auch einmal leisten kann, stolz auf das Erreichte zu sein. „Rückblickend würde ich sagen: “Es war ein Marathon, wir haben uns viel getraut, wir fordern uns viel ab –aber wir haben es richtig gemacht bis hierher, weil wir für unsere Sache brennen.  Nach vorne geschaut: So würde ich gerne weiter machen: entspannt, gut und immer auf der Höhe der Zeit arbeiten, gesund und glücklich bleiben. Und wenn dazwischen noch Zeit und Energie bleibt, bringe ich auch noch meine nahezu fertige Doktorarbeit zu Ende!“  www.zahnarzt-pfalzdorf.de

Gabriele Coché-Schüer