Lanna Idriss  – die Geschichte einer Frau, die auszog, um die Seiten zu wechseln  

8. November 2019 – Treffpunkt am Duisburger –Innenhafen im Digitalkontor der Firma Krankikom. Und Lanna Idriss kommt.

Besichtigung eines atemberaubenden und innovativen Firmengebäudes– auch das stand auf der Einladungskarte.

Selbst Menschen, die sich etwas in Duisburg auskennen, rieben sich verwundert die Augen, als sie am Calaisplatz 5 ankamen. Hier? Kann eigentlich nicht. Ein im Dunkeln futuristisch anmutender Bau,  aber offensichtlich auch noch eine Riesenbaustelle im Erdgeschoss, der Bauzaun an einer Seite offen zum Eingangsbereich, kein Schild, kein Pfeil, kein Licht … ein klein wenig unheimlich und nun ja -Frauen tragen nun mal abends gerne Highheels.  Also weiter! Tastete man sich mutig in das Gebäude,  gab es drinnen zumindest schon einmal einen ultramodernen Aufzug und so konnte man etagenweise nach dem Veranstaltungsort Ausschau halten.  Auch kam immer näher ein lebhaftes  Gewirr von Frauenstimmen und damit die Gewissheit, hier ist es richtig!

Beeindruckend die Größe und beeindruckend anders die Atmosphäre. Sieben Büroetagen, 4.500 m² für kreatives Arbeiten, Platz für kollektives und individuelles Nachdenken und Tüfteln. Postmodernes, schräges Mobiliar aus den 50igern trifft Beton und jede Menge  Hightec. „Sie werden sehen, dass wir alles für eine gute Kommunikation tun“, so Michaela Hares, die Geschäftsführerin von Krankikom, ganz oben angekommen, „entsprechend haben wir viele Gemeinschaftsflächen und Angebote für unterschiedliche Arbeitssituationen in Teams. Alle Flächen werden offen gestaltet, zwischen den Etagen gibt es Durchbrüche. Eine bestimmte Anordnung der Schreitische gibt es hier nicht, Layout und Möblierung gestalten die Menschen von Krankikom nach ihren individuellen Wünschen, deshalb haben wir auch nichts wirklich endgültig geplant. Hier ist Platz für erst einmal 100 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter- aber auch mehr.“

Michaela Hares

Ganz oben mit unbezahlbarem (Nacht-) Blick auf den Innenhafen dann der Treffpunkt für alle. Ein Riesentisch, Küche, Kaffeeautomat und Obst, Platz für Besprechung, ein Fahrrad.  Michaela Hares: „Wir sind eine besondere Firma, also wollen wir auch ein besonderes Gebäude, so hat das Alexander Kranki mal formuliert. Das Haus ist vor allem ein Ausdruck der Wertschätzung für unsere hochqualifizierten und engagierten Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen, die schon früh mit in die Planung einbezogen worden sind.“ Mit dem Neubau wollte man auch in die Zukunft planen. Von der Solaranlage auf dem Dach, energieeffiziente Heizung und Kühlung und natürlich modernste Netzwerktechnik – im Digitalkontor ist alles digital und trotzdem alles auf die Menschen ausgerichtet, die dort arbeiten.

 

Sie hatte sich so selbstverständlich unter das Publikum gemischt, als gehörte sie schon lange dazu. Lanna Idriss saß völlig entspannt auf einem der Cocktailsessel und plauderte.

In ihrer offiziellen Begrüßung kam Barbara Baratie noch einmal auf ihr erstes Zusammentreffen in der Redaktion der Rheinischen Post in Düsseldorf zurück: „Da saßen wir gemeinsam mit fünf weiteren Frauen und redeten über den Internationalen Frauentag und mir war schnell klar, dass diese Frau viel zu sagen hat und dass wir sie unbedingt ins forum einladen müssen. Ihr Lebens- und Karriereweg ist außergewöhnlich, weil ihre Karriereanfänge und –erfolge diametral zu dem Weg stehen, den sie jetzt geht.“

„Ich freue mich sehr, heute hier zu sein, Barbara“, übernahm Lanna Idriss, „ich finde die Begegnung mit aktiven, selbstbestimmten Frauen immer spannend. Frauen bleiben mein Lebensthema, weil Frauen für mich die wahren Heldinnen sind. Ich habe sie tausendfach erlebt in den syrischen Flüchtlingslagern und überall da, wo Armut und Krieg herrscht. Sie sind es, die dafür sorgen, dass die Familien zusammenbleiben, die sich für Essen anstellen, die dafür sorgen, dass ihre Kinder zu essen haben, den Schulunterricht besuchen. Ihre Männer sitzen in den Teestuben, beklagen ihre Lage…  und warten.“

„Frauen bleiben mein Lebensthema,
weil Frauen für mich die wahren Heldinnen sind“

Lanna Idriss ist in Hamburg geboren. Ihre Mutter ist Dänin, der Vater Syrer. Sie studierte Politologie, Islamwissenschaften, Verwaltungsrechts, und Wirtschaftswissenschaften und startete ihre Karriere bei Banken und internationalen Wirtschaftsprüfungsgesellschaften. 2009 wechselte sie zur privaten BHF-BANK. Dort managte sie bis 2018 den Bereich Operations und COO Investment Banking. „Ich habe viele Jahre sehr viel für meine Karriere gearbeitet, mich aber als Vorgesetzte auch immer darum gekümmert, dass in meinem Team eine gute Stimmung herrscht. Die Hierarchien sind im Bankgeschäft klar definiert und (oft unausgesprochene) Regeln hält man einfach ein. Das fängt schon beim klassisch dunkelblauen Hosenanzug oder Kostümchen an, aber wenn ich mich als Vorgesetzte darüber hinweg setze und in knallbuntem Outfit dort auflaufe, ziehen irgendwann die Kolleginnen mutig nach.“

„Lakaien befolgen Befehle, Königinnen erkennen Zusammenhänge“

„Im Grunde hatte ich ein sehr komfortables Leben mit meinem Mann, zwei Kindern, die wir  adoptiert haben,“erzählt sie weiter. Dieser saturierte Zustand wurde für mich jedoch zunehmend so etwas wie eine Stasis, eine Zeit ohne Veränderung, ‚Bewegung im Stillstand‘ sozusagen. Ich kann von mir sagen, dass ich ein echtes Helfersyndrom habe, dass ich immer zupacken muss, wenn ich einen Notstand sehe. Vielleicht liegt es daran, dass ich selbst einen multikulturellen Hintergrund habe, dass ich mich von je her verantwortlich dafür gefühlt habe, aktiv etwas gegen Leid, Ungleichheit und für mehr Gerechtigkeit zu unternehmen. Eine meiner Lebensfragen ist, wie man es erreicht, dass möglichst viele Menschen auf der Welt selbstbestimmt und von ihrer Arbeit leben können. Dabei muss es immer darum gehen, dass nachhaltige Hilfe vor Spenden geht.“

Dabei muss es immer darum gehen,
dass nachhaltige Hilfe vor Spenden geht.

2011 übernahm sie –ehrenamtlich- einen der Vorstandsposten der BHF-Stiftung, die sich auf die Förderung von moderner Bildender Kunst fokussiert hat. „Diese Arbeit hat mich eines gelehrt: Strategien zu entwickeln. Die Stiftungsarbeit war für mich enorm wichtig: Dort ging es in erster Linie um Netzwerken. Ich habe unzählige gute, freundschaftliche und nützliche Kontakte knüpfen können. Und klar, man ist als Stiftung in einer guten Position. Die Stiftung hat das Geld, sie gibt. Das allein macht sie (und mich als Gesprächspartnerin) attraktiv.“

Lanna Idriss war in diesen Jahren viel unterwegs, Syrien kennt sie durch ihren Vater gut, sie bereist den Nahen und Mittleren Osten, war im Sudan, Haiti, Ägypten und sieht, dass sie den Frauen vor Ort eine Chance bieten kann, für ihren Lebensunterhalt zu sorgen, indem sie in Deutschland eine Vertriebsmöglichkeit für ihre Produkte schafft. 2014 gründet sie mit Mitstreiter_innen den Verein Gyalpa e.V., der seitdem eine Reihe von Wirtschafts- und Kulturprojekten zur Förderung von Frauen und Jugendlichen im Nahen und Mittleren Osten anstößt und durchführt.

2015 gründet sie den Gyalpashop UG und Studio Store für Craft and Design aus dem Nahen Osten. Damit unterstützt sie insbesondere Flüchtlingsfrauen aus Syrien, die in den Aufnahmelagern mit minimalen Mitteln und Ausstattungen Taschen, Kleidung und Dekoartikel herstellen. „Wir haben anfangs alles allein gemacht. Wir haben die Sachen abgeholt, zuhause verkaufsbereit gemacht, die Kartons selbst verpackt und zur Post gebracht.“

Das ging aber nur, weil die meisten Mitarbeiter_innen ehrenamtlich gearbeitet haben. Gyalpa UG importiert Waren von  ca. 600 Frauen aus 6 arabischen Ländern (Marokko, Syrien, Jordanien, Palästina, Ägypten, Libanon) und der Türkei.  Es werden ausschließlich natürliche oder recycelte Materialien eingesetzt. 70% der Erlöse gehen direkt an die Frauen in ihrem Heimatland. „Die Frauen werden direkt bezahlt, um sicher zu gehen, dass es bei ihnen ankommt. Das Geschäft ist jedoch nicht einfach,“ so Lanna Idriss, „die Qualitäten sind oft nicht so hoch, weil z.B. die Frauen in den Flüchtlingslagern einfach kaum Geld und Zugriff auf gutes Material haben. Die Geschäftsräume mussten zwischenzeitlich aufgegeben werden, der online-shop läuft jedoch.“

Aber Lanna Idriss merkt, dass diese Frauen sich ihrer Kraft und Energie immer stärker bewusst werden. Seit einiger Zeit hat Gyalpa gemeinsam mit einem strategischen Partner Arbeitsplätze für 19 gut ausgebildete Programmiererinnen geschaffen. In einem Flüchtlingslager, so erzählt sie, hat sie eine Frau kennengelernt, die dort ein Dessousgeschäft eröffnet hat und fügt lachend hinzu. „Es ist zwar nicht unbedingt mein persönlicher Geschmack, aber der Laden läuft richtig gut.“

Lanna Idriss sagt von sich, dass sie so in etwa alle sieben Jahre grundlegende Veränderungen in ihrem Leben erfährt. Nach Trennung und Scheidung lebt sie mit ihren in Haiti geborenen Kinder zusammen in Frankfurt a/M. Ihre sozialen Unternehmungen werden für sie immer lebensbestimmender. 2018 steigt sie aus dem Managerleben aus und wagt den Schritt ganz  „auf die andere Seite“, obwohl ihr frühere Kollegen aus der Bankenszene prophezeien, dass sie den Wechsel nicht hinbekommen wird. „Da war ich mir aber sicher. Diese Veränderung habe ich strategisch jahrelang vorbereitet. Sie ist konsequent. Es war mir durchaus klar, dass ich zukünftig viel weniger Geld zur Verfügung haben würde, dass ich meine Netzwerke neu bestimmen muss, dass zukünftig ganz andere Dinge in meinem Leben Priorität haben würden. Aber genauso klar war mir, dass diese Veränderung genau jetzt passieren musste.“

2019 wird sie Geschäftsführerin bei Amnesty Deutschland. Ihr Umzug nach Berlin steht fest!

 

Und sonst?

Text Gabriele Coché-Schüer
Fotos Maike B. Maier