Entfalten statt liften oder die Kunst, sich ein gutes Leben „danach“ zu machen
Es ist seit Wochen richtig sommerheiß, Ferien- und Urlaubszeit zudem– auch eher zurückgefahrene Aktivität im unternehmerinnen forum. Wer will sich da ernsthaft nachmittags (!) in Goch mit dem Thema „Ausstieg aus dem Beruf und was dann?“ beschäftigen? Und mal ehrlich: Wer sucht im schönsten Sommer „nach Wegen zur inneren Balance?“
Erstaunlich viele. Das aussergewöhnlich schöne Café Note am Steintor war jedenfalls mit 25 Gästen rappelvoll. Kaffee- und Kuchenzeit und Barbara Baratie begrüßte die Anwesenden in einer sehr entspannten Atmosphäre. „Die Themen sind mit Bedacht gewählt, in unserem Netzwerk haben auch schon mehrere Mitgliedsfrauen den Rückzug aus dem aktiven Geschäft geplant oder sogar schon vollzogen. Manche sofort und komplett, manche ziehen sich Stück für Stück zurück. Da geht es nicht nur um Geschäftliches, es ist ebenso ein starker emotionaler Prozess. Eine Idee davon, wie der Einstieg in die neue Lebensphase gut gelingen kann, geben uns Annette Hahne und Maria Klier.“
Einen Blumenstrauß gab es zur Begrüßung einer neuen Mitgliedsfrau in unseren Reihen: Isabell-Carola Zieger (HochschulManagementConsult). Lange selbst im Wissenschaftsbetrieb hat sie sich zur Aufgabe gemacht, Führungskräfte in Wissenschaft und Forschung zu begleiten.
Und einen für Nicole Scuderi Herzlichen Glückwunsch zur Hochzeit!
Menschen, die ihren Beruf lieben, über Jahrzehnte Vollgas gegeben haben und für ihr Unternehmen brennen, sehen dem Ende ihrer aktiven Berufszeit häufig mit gemischten Gefühlen entgegen. Meine Firma, mein Job- das war ein halbes Leben lang Motor, Motivation, Selbstbestätigung. Da blieb oft keine Zeit, sich Gedanken über das „nachher“ zumachen. Weiter, immer weiter.
Der Einstieg ins Rentnerdasein ist für Führungskräfte allerdings häufig ein echter Kraftakt und die Angst, in ein schwarzes Loch zu fallen, groß. „Raus zu sein“ bedeutet für sie einen Macht- und Kontrollverlust, den man erst einmal zu kompensieren lernen muss.
Aber dann doch: Die eigenen Überlegungen fangen damit an, dass immer öfter Kolleginnen, langjährige Geschäftspartner und -partnerinnen im Gespräch andeuten, dass sie „gar nicht mehr lange haben bis zum Ruhestand“, dass „sie kürzer treten wollen“, für das Unternehmen die Nachfolge regeln wollen. Man erfährt mit einer gewissen Fassungslosigkeit von nahe- und nicht so nahestehenden Menschen, die plötzlich schwer erkranken oder sogar sterben- „was- in dem Alter?“
Die Erkenntnis wächst: ich muss meine Pläne, Träume und Vorhaben, die mir wichtig sind und die ich immer für später auf Termin gelegt habe, endlich angehen, denn das Zeitfenster wird kleiner. Ich weiß nicht, wie viel mir noch bleibt.
Aber was ist der Plan?
Dr. Annette Hahne, Gynäkologin und Mitgliedsfrau, zog vor knapp zwei Jahren die Bremse. Fast 30 Jahre in der eigenen Praxis in Düsseldorf, regelmässig eine 60- bis-70-Stunden Woche. Ehemann, die Lieblingsnichte, Freundeskreis, Hobbies, Sport, Theater- die verfügbare Zeit hierfür wurde immer knapper, ihre Energie weniger- verstärkten ihren Entschluss, mit Ende 50 eine geeignete Nachfolgerin für ihre Praxis zu suchen. Was jedoch normalerweise bis zu 2 bis 3 Jahren dauert, erledigte sich in einem halben Jahr und viel früher als gedacht, war er da, der Ausstieg.
„Von Anfang war mir klar, der Ausstieg will geplant sein. Ich hatte für mich die Zeit der Nachfolgesuche eigentlich noch als Übergangszeit eingerechnet und wollte von langer Hand geplant, langsam in mein neues Leben hineingleiten. Es gibt ja nichts, was mehr frustriert, wenn man ab dem Tag X nichts vorhat, kein Hobby und keinen Plan hat, wie das künftige Leben aussehen soll oder könnte. Und natürlich spielt Geld eine Rolle. Mein Schwiegervater hatte uns schon früh gesagt, mit 55 müsst Ihr mit Eurer Altersplanung durch sein.“ Daran haben wir uns gehalten. Wir haben hart gearbeitet und nahezu alles, was wir erwirtschaftet haben, in Immobilien investiert,“ so Annette Hahne. „das ist heute ein ganz neuer Bereich meines Lebens. Ich bin jetzt unter anderem meine eigene Facility Managerin und kümmere mich gemeinsam mit meinem (hier sehr talentierten) Mann um unsere Immobilien – mit allem, was dazugehört. Wir renovieren, kümmern uns um die Vermietung, die Pflege der Hausgärten, erledigen kleinere Reparaturen. Etwas Neues und es macht Spaß!“
Talente und Fähigkeiten brauchen Übung
Man will ja für den nächsten Lebensabschnitt nicht sein ganzes Leben verändern, doch mit der gewonnenen freien Zeit eröffnen sich ganz neue Möglichkeiten: Wir können endlich bisher schlummernde Talente und Fähigkeiten ausprobieren, neue Kontakte knüpfen, uns intensiv mit unbekannten Themen auseinandersetzen, etwas Neues lernen, uns (ja- auch ehrenamtlich) für eine Sache engagieren, die uns sinnvoll erscheint.
„Ich habe nach langer Zeit mein Bücherregal sortiert, total spannende Bücher (wieder-)entdeckt und wieder angefangen, ausgiebig zu lesen, wir gehen wieder mehr ins Theater, Kino und Kabarett. Dazu war ich lange abends einfach viel zu geschafft. Ich koche leidenschaftlich gerne und habe jetzt die Muße, neue Gerichte auszuprobieren, Zeit, den Tisch schön zu dekorieren, Freunde ausgiebig zu bekochen,“ erzählt Annette.
Neues auszuprobieren, heißt auch immer, sich zu trauen, sich etwas zuzumuten. Wir sind ja nicht wirklich eingeschränkt, nur weil wir älter geworden sind, es geht auch darum, auszuprobieren, was noch möglich ist, auch nochmal die eigenen Grenzen zu verschieben. Das hat sich Annette Hahne zur Devise gemacht. „Ich habe den ersten Tandemsprung meines Lebens gemacht. Es war unglaublich. Und es wird garantiert nicht mein letzer sein.“
Das Leben ist Veränderung, Veränderung heißt Lebendigkeit
Und da gibt es noch ein Hobby, das sie jetzt mit noch größerer Begeisterung pflegen kann. Seit einigen Jahren ist sie stolze Besitzerin einer „Pagode“, eines in Liebhaberkreisen sehr beliebten Mercedes-Oldtimers. „In den war ich schockverliebt und den habe ich wahnsinnigerweise gekauft.“ Seitdem ist sie aktiv im Verein und organisiert regelmässig Oldtimer-Rallye-Touren (zuletzt auch eine sehr erfolgreiche Frauen-Rallye).
„Ich möchte euch heute gerne ermutigen, das Älterwerden positiv zu sehen. Wie nie zuvor haben wir Frauen Möglichkeiten und Freiheiten -Gesundheit vorausgesetzt- nochmal aktiv unser pralles Leben zu gestalten. Entfalten statt liften* muss das Motto sein, Falten erzählen von gelebtem Leben, Botox nicht. Schiebt nichts auf die lange Bank.“
Nicht alle Lebensverläufe sind so straight wie der von Annette, er zeigt aber, was möglich ist, wenn die (Lebens-)Bedingungen gestimmt haben. Und eines ist auch klar „Wer neben dem Beruf schon immer aktiv war, und Hobbies und Leidenschaften weiter gepflegt hat, wird dies im dritten Lebensabschnitt noch stärker aktivieren. Wer dagegen schon früher seine Zeit als Couch Potato verbracht hat, wird es schwer haben, sich aus dem Sofa zu wuchten.
Dem Nichtstun setzt Maria Klier aber einiges mit Verve entgegen. Die klassisch ausgebildete Sängerin, Stimm- und Gesangspädagogin motiviert, aktiviert und begeistert Menschen, sich mit ihrer Stimme bemerkbar zu machen. Was die Stimme nicht alles kann, wenn sie als Instrument entdeckt und geformt wird!
Sie schafft es, über 20 Frauen, von denen viele mit Sicherheit seit Jahren nicht mehr gesungen, geschweige ihre Stimmen gemeinsam ausprobiert haben, dazu zu bewegen, sich hoch aufzurichten, den Brustkorb zu weiten, Töne nachzusingen, dabei lauter und kraftvoller zu werden und das Ganze nicht albern und blöd zu finden. Im Gegenteil, je öfter und länger an einem Ton „gearbeitet“ wurde, umso mehr bildete sich eine Art Klangkörper und (zumindest bei mir) ein lange vermisstes Wohlgefühl.
Es ging Maria Klier nicht nur darum, in der kurzen Zeit, die wir mit ihr hatten, unser individuelles Stimmvolumen zu optimieren- sie wollte uns ein Gefühl dafür geben, dass unsere Stimme und wie wir mit ihr umgehen, einen erheblichen Teil dazu beiträgt, uns gut zu fühlen, selbstsicherer im Sinne des Wortes zu werden. Mit ihrem Beitrag und den praktischen Übungen hat sie ganz wunderbar den Bogen zum Vortrag von Annette Hahne geschlagen!
* Anm.: „Entfalten statt liften“ ist der „entliehene“ Titel der Dissertation von Dr. Kim de Groote. Eine Untersuchung zu den Bedürfnissen von Senioren in kulturellen Bildungsangeboten (ISBN 978-3-86736-334-1)
Text:Gabriele Coché-Schüer
Fotos: Marjolein van der Mei