(Raumpatrouillen-) Geschichten eines kleinen Jungen aus der beschaulichen Hauptstadt Bonn, dessen Vater Willi Brandt hiess und erster sozialdemokratischer Kanzler (1969- 1974) der noch recht jungen Bundesrepublik Deutschland war.
Wer Matthias Brandt als Schauspieler oder Erzähler (u.a. als Kommissar Hanns von Meuffels in Polizeiruf 110) schätzt oder sogar verehrt (die Autorin tut beides, wie man gleich merken wird), hat keine Zweifel, dass das von ihm 2016 veröffentlichte Erstlingswerk seiner ihm ganz eigenen Qualität gerecht wird. Und es gibt keine Enttäuschung: Es sind Geschichten, die soviel von der eigenen, glücklichen und intensiven Kindheit auftauchen lassen, dass es ein reines Vergnügen ist, sich in dieses Buch zu versenken. Matthias Brandt schreibt es auf die erste Seite: „Alles, was ich erzähle, ist erfunden, Einiges davon habe ich erlebt, Manches von dem, was ich erlebt habe, hat stattgefunden.“ Das sagt alles. Das nämlich ist die eigene Kindheit: Erfahrenes, Erlebtes, Geträumtes, Fantasiertes.
Wer in dieser Zeit Kind,Teenager oder gerade „erwachsen“ war, weiss genau, wovon Brandt erzählt: Von den ketterauchenden Vätern, den überall präsenten dicken, alten Männern in „Politik, Funk, Film und Fernsehen“, Samstagabenden vor dem Fernseher, seltsam alt wirkenden Lehrerinnen und Lehrern, von den epochemachenden „Bonanza“-Fahrrädern, Schulbüchern, die damals in den Ferien abgeholt werden mussten, der berühmten Bärenmarke (TV-Werbung: „Nichts geht über Bärenmarke“). Für mich hat sich das Zeitpuzzle sofort zusammengesetzt: aus den Bildern, aus den Gerüchen dieser Zeit und dem, was damals für eine Kindheit oder frühe Erwachsenenzeit prägend war.
Der Unterschied zwischen der Kindheit von Matthias Brand und einer sagen wir- stinknormalen- Kindheit: Er war nun einmal der Sohn eines Bundeskanzlers. Mit Personenschutz, Objektbewachung, Chauffeur und allem üblichen Regierungs- und Promipomp. Was diesen Jungen aber nicht wirklich tangiert oder von seinen Exkursionen und Experimenten abhält. Er träumt wie alle Kinder von der Reise ins All, er versucht, seine „Bewacher“ abzuhängen oder sie auf seine Seite zu ziehen, erlebt häusliche Katastrophen durch fehlgeschlagene Zauberkunststücke und verordnetes Kakaotrinken bei den Nachbarn Wilhelmine und Heinrich Lübke (wir erinnern uns…) Sein meist abwesender Vater fehlte ihm nicht zu einer freien, unbeschwerten und unkomplizierten Kindheit. Seine geliebte Mutter Rut hat hier stets die Balance halten.
In den Raumpatrouille-Geschichten ist nirgendwo die Rede von Politik und doch fällt es einem (als jetzt Erwachsener) ganz leicht, sie genau in die damalige politische Atmosphäre einzuordnen.
Matthias Brandt sagte 2016 in einem Gespräch mit der Hamburger Abendpost: „Beobachtet man viele heutige Eltern, dann meinen die, alles würde gut, wenn sie nur immer den vermeintlichen Bedürfnissen ihres Kindes folgen. Vielleicht ist das ja aber auch ein Holzweg. Vielleicht war, was unsere Eltern gemacht haben, nämlich uns ein wenig mehr nebenbei laufen zu lassen, der freiere und bessere Weg als der, den Kindern so auf die Pelle zu rücken.“[….]
„Ich wollte meine Eltern nicht als Spielkameraden. Ich wollte meinen Freiraum.“
Das Geschichtenbuch „Raumpatrouille“ ist ein kleines, feines Schatzstück. Prädikat: absolut empfehlenswert!
Gabriele Coché-Schüer
Verlag Kiepenheuer&Witsch
ISBN: 978-3-462-04567-3
erschienen 2016
176 Seiten, gebunden
Euro 18,00